Kinder-Film&Fernseh-Tage 2002

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Die Zielgruppe Kinder: Gläsern oder Unbekannt? Kompetent oder Schutzbedürftig?

Begriffe wie mediatisierter Alltag, Medienkompetenz oder Medienkindheit zeugen von der prominenten Stellung, die insbesondere elektronische Medien für Kinder inne haben.

Die Bandbreite an Vorstellungen zum Medienkind ist groß; sie reicht vom souveränen Nutzer des vielfältigen Angebots, der sich spielerisch technisches und ästhetisches Wissen aneignet bis hin zum dumpfen Dauerkonsumenten, dessen motorischen und sprachlichen Fähigkeiten verkümmern. Darüber hinaus sind Kinder alles andere als eine homogene Zielgruppe - ein 10jähriges Mädchen hat ganz andere Fähigkeiten und Interessen als ein 5jähriger Junge. Kinder sind eine heterogene Zielgruppe mit unterschiedlichen Mediennutzungsprofilen. Unter

Berücksichtigung von Ergebnissen der Entwicklungspsychologie, Kindheits- und Medienforschung möchte die Tagung hinterfragen, inwiefern Programmmacher einerseits und Jugendschützer andererseits diesen Tatsachen gerecht werden.

Foren mit Statements und Diskussionen unter folgenden Fragestellungen sind in Vorbereitung:

  • Vorstellungen von Kindheit - wie wichtig sind Medien?
  • Die Favoriten der Kinder - wie ernst werden die Interessen der Zielgruppe genommen?
  • Unter Ausschluss der Zielgruppe? Konsequenzen der Altersfreigaben für die Filmwirtschaft
  • Unterfordert - Überfordert; Was können Kinder?
  • Von der Realität überholt - Jugendschutz auf verlorenem Posten?
  • Globalisierte Medienkindheit - Markt der Möglichkeiten ohne Bildungsauftrag?

Zusammenfassung (von Barbara Felsmann)

Rückblick

„Die Zielgruppe Kinder – Gläsern oder Unbekannt? Kompetent oder Schutzbedürftig?“ war das Thema der diesjährigen Kinder-Film&Fernseh-Tage, die erstmalig in Erfurt stattfanden. Darin sah der Thüringer Kultusminister Prof. Dr. Michael Krapp in seiner Begrüßungsansprache eine weitere Bestätigung, dass Thüringen das „Kindermedienland bundesweit“ sei. Gera und Erfurt bekennen sich zum Goldenen Spatzen, der nun mit „zwei Nestern“ wesentlich besser bedient sei, als mit einem. Für das kommende Deutsche Kinder-Film&Fernseh-Festival wünschte sich Prof. Dr. Krapp, dass dort zum Auftakt ein in Thüringen produzierter Kinderfilm zu sehen sei.

200 Filmemacher, Fernsehvertreter, Journalisten, Medienpädagogen und andere Fachleute waren nach Erfurt gekommen, um in fünf Foren über die Medienkompetenz von Kindern zu diskutieren. Zur Einstimmung auf die Foren zeigten die PIXEL-Kids vom Offenen Kanal Gera mehrere selbst produzierte Videobeiträge, in denen die „Zielgruppe Kinder“ selbst zu Wort kam.

Begleitend zur Tagung wurden in Erfurt und Gera drei neue Kinderfilme präsentiert und nach den Vorstellungen die Möglichkeit geboten, das Filmteam und die Hauptdarsteller kennen zu lernen und mit ihnen zu diskutieren. Die „Mini-Ausgabe“ des Festivals GOLDENER SPATZ stellte vor: „Malunde“, eine Koproduktion aus Südafrika und Deutschland (Regie: Stefanie Sycholt), „Hilfe, ich bin ein Junge“ von Oliver Dommenget und aus Italien „Iris“ von Aurelio Grimaldi.

Abends erwartete die Tagungsteilnehmer das Pitching der Winterakademie 2001/2002 und der „Blick in die Werkstatt“, eine bewährte und sehr begehrte Veranstaltung, bei der Filmproduzenten gerade in Produktion befindliche Projekte vorstellen.

Die Kinder-Film&Fernseh-Tage finden seit 1994 im jährlichen Wechsel mit dem Deutschen Kinder- Film&Fernseh-Festival GOLDENER SPATZ statt. Die diesjährige Konferenz wurde vom Thüringer Kultusministerium, der Stiftung Kulturfonds, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und dem Deutschen Kinderhilfswerk e.V. gefördert, wesentlich unterstützt von CineStar Kieft & Kieft Filmtheater GmbH, dem Kinderkanal ARD/ZDF und Super RTL und finanziert aus den Zuwendungen der Stifter des GOLDENEN SPATZ.

Nach der offiziellen Begrüßung und Eröffnung der Kinder-Film&Fernseh-Tage präsentierte die Geschäftsführerin der Stiftung GOLDENER SPATZ, Margret Albers, sozusagen zum „Einstieg“ Ausschnitte aus Kinderprogrammen, deren Eignung für Kinder einst in Frage gestellt wurde. Unter dem Titel „Aus dem Giftschrank – Ein Streifzug durch kontroverse Kinderprogramme“ stellte sie u.a. die „Sesamstraße“ vor, die 1973 bei der ARD mit Ausnahme des Bayrischen Rundfunks auf Sendung ging, die „Teletubbies“, die einen „öffentlichen Diskurs globalen Ausmaßes“ heraufbeschwörten, und auch einen Ausschnitt aus dem Kinderfilm „Nordsee ist Mordsee“, der 1976 von der FSK in erster und zweiter Instanz lediglich eine Freigabe ab 16 bekam.
Zusammenfassend stellte Margret Albers fest, „dass ein Programm gute Chancen hat, kontrovers diskutiert zu werden, wenn es die Vorlieben und Interessen der Zielgruppe so gut trifft, dass die Begeisterung einem Erwachsenen nicht erklärlich ist, wenn es global und kommerziell ausgerichtet ist, Gewalt darstellt, nicht primär als Kinderprogramm konzipiert ist oder sich auf unverblümte Weise kinderunfreundlicher Realität annimmt“.

Danach erörterte PD Dr. Burkhard Fuhs vom Institut für Grundschulpädagogik und Kindheitsforschung der Universität Erfurt die Frage „Wie hat sich Kindheit in den letzten Jahrzehnten verändert?“ Heutzutage – so Dr. Fuhs – lasse sich eine „zunehmende Individualisierung und Pluralisierung der Kinderkultur beobachten“, aus einer „Spielekindheit“, wie sie heutige Erwachsene noch erlebt haben, sei eine „Terminkindheit“ geworden. Viele Erwachsene hätten Schwierigkeiten, heutige Kinder zu verstehen, weil „das moderne Kinderleben sich nicht mehr mit den eigenen Kindheitserfahrungen vergleichen lässt“. Das Verständnis heutiger Kindheit wird erschwert, meinte Dr. Fuhs, weil Erwachsene einen doppelten Blick auf Kindheit haben und stets die eigene Kindheit mit der Kindheit heutiger Kinder vergleichen“. Abschließend wies er darauf hin, dass „der Medienkonsum zu einer wichtigen Bühne der Auseinandersetzung um die heutige Kindheit geworden ist“, wobei die elektronischen Medien „nicht nur ein Konflikt-, sondern auch ein Begegnungsfeld“ darstellen, das für ein besseres gegenseitiges Verständnis genutzt werden könnte.

Zur Einstimmung auf die Kinder-Film&Fernseh-Tage hielt anschließend Prof. Dr. Uwe Hasebrink vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung einen Vortrag zum Thema: Wer sind die neuen Mediennutzer? Europäische Kinder und Jugendliche in veränderten Medienumgebungen. Dabei stellte er die Ergebnisse einer vergleichenden Studie von 1997 vor, in der 9- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche in zwölf europäischen Ländern untersucht wurden.
Nach dieser Studie liegen deutsche Kinder mit 133 Minuten täglich im Mittelfeld der Fernsehnutzung, im Gegensatz zu Kindern aus Großbritannien und Israel.
Digitale Medien spielen vor allem in den nordischen Ländern eine wichtige Rolle, während in Deutschland, Frankreich und Großbritannien demgegenüber eine geringere Verbreitung zu verzeichnen ist. Festgestellt wurde auch, dass die neuen Medien die alten nicht ersetzen, sondern eher ergänzend genutzt werden und vor allem das Lesen nicht verdrängen.
Insgesamt sei zu bemerken, dass heute überall in Europa die Kindheit und Jugend durch Medien bestimmt werden und sich eine ausgeprägte „Kinderzimmer-Kultur“ entwickele. Dabei lassen sich „Prozesse sozialer Spaltung“ beobachten. Den Erwachsenen empfahl Prof. Dr. Hasebrink, dass sie an den Medienaktivitäten ihrer Kinder teilnehmen sollten, ohne sie zu kontrollieren, mit ihnen über Inhalte und Inszenierungsformen sprechen und für ein anspruchsvolles Medienangebot sorgen sollten.


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