Forum 5: Olle Kamellen auf neuen Wegen? Die inhaltliche Entwicklung des Angebotes für Kinder

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Zu Beginn des Forums 5 hielt Dr. Horst Stipp, Director Social and Devolopment Research beim TV-Network NBC in New York, einen Vortrag zum Thema "Überlebt das Geschichtenerzählen im Zeitalter der interaktiven Medien?". Zielrichtung seiner Argumentation: Die Attraktion der neuen Medien für Kinder und Jugendliche wird angesichts des Medien-Hypes um das Internet überschätzt; nach wie vor liegen die traditionellen 'passiven' Medien in der Nutzungshitliste weit vorn.

Stipp skizzierte zunächst drei gängige Thesen über den Einfluss der Neuen Medien. Demnach wird die junge Generation, die mit Computern aufwächst und sich für Interaktivität und Video-Games begeistert, Medien anders nutzen als ihre Vorgänger. Geschichten mit einer klassischen Drei-Akte-Struktur (Anfang/Mitte/Ende) gelten als altmodisch. Die so genannte Computer-Generation will Stories selbst zusammenstellen und verbindet gerne interaktiv kurze Segmente.

Für solche Thesen über "revolutionäre Veränderungen" in der Mediennutzung der "Computer-Generation" hat der NBC-Forscher keine empirische Belege gefunden. Die Behauptungen stützen sich vor allem auf "Anekdoten, Meinungen und Umfragen", aber nur auf sehr wenige Daten. Dabei liegen "systematische Messungen" durchaus vor, sie werden halt nur selten genutzt. Stipp verwies auf einen wichtigen Vorsprung der Forscher in den USA, wo die PC-Nutzung bereits in 20.000 Haushalten systematisch gemessen wird. Die Studie "Kids and Media" ergab, dass Acht- bis 18-Jährige in den USA in der Woche im Schnitt 23 Stunden fernsehen - mehr als drei mal so lang wie die Nutzungsdauer aller anderen Medien zusammen. Das Internet rangiert mit 1,5 Stunden fast am Ende der Liste. Dagegen kommen traditionelle Medien wie CD-Hören oder Lesen auf je fünf und das Radio auf 4,5 Stunden. Die Computer-Nutzung (ohne Internet) liegt bei drei Stunden.

Für die Popularität der Thesen über einen starken Einfluss der neuen Medien auf Kinder und Jugendliche sieht der New Yorker Forscher drei Gründe: den verbreiteten Glauben an die Macht der Medien, die Behauptung "Die junge Generation ist anders" und den realen Anstieg der Nutzung des Internets und anderer neuer Techniken.

Nach Angaben Stipps ändert sich das Nutzungsverhalten der Heranwachsenden tatsächlich also nur langsam. Während die 'passiven' Medien weiterhin noch an der Spitze liegen, beträgt die Nutzungsdauer interaktiver Angebote wie Video-Spiele unter 20 Prozent. Entgegen landläufiger Annahmen springen Kinder auch nicht häufiger zwischen den TV-Kanälen hin und her als Erwachsene - im Gegenteil: Während bei zwei bis elfjährigen Kindern 37 Prozent gerne 'zappen', sind es bei 18- bis 49jährigen Erwachsenen 41 Prozent.

Im Verhältnis zwischen Medien und Nutzer konstatierte Stipp eine gegenseitige Beeinflussung. So heben akademische Forscher und die öffentliche Diskussion überproportional den Einfluss der Medien auf die Nutzer hervor. Markant weniger Aufmerksamkeit findet dagegen der Umstand, dass die Medien selbst die Nutzer erforschen. Dabei zeigen empirische Daten, dass demographische Faktoren und Präferenzen der User einen starken Einfluss auf die Mediennutzung haben.

Zum Beispiel zeigen sich bei der Mediennutzung von acht- bis 18-Jährigen in den USA erhebliche Altersunterschiede: 14- bis 18-Jäh-rige bevorzugen Radio, CD, Computer, Internet und Kino stärker als Acht- bis 13-Jährige. Klare Differenzen gibt es auch zwischen den Geschlechern: So vergnügen sich Jungs 3,5 Stunden pro Woche mit Video-Games, Mädchen dagegen nur eine halbe Stunde. Während die drei beliebtesten Internet-Home Pages mit Yahoo, AOL, MSN bei beiden Geschlechtern gleich sind, surfen Jungs danach bevorzugt zu Sites von Spieleherstellern wie IGN, ZDNET, Cheatcc, Virtualave.net und Nintendo, Mädchen zieht es eher zu Sites wie Disney Online, Pathfinder und American Greetings (Quelle: Media Metrix December 1999).

Insgesamt bewertet Stipp den Einfluss von Medien auf Nutzer als "oft überschätzt und oft falsch eingeschätzt". Zwischen alten und neuen Medien lassen sich keine grundlegenden Unterschiede erkennen. Videospiele und Internet erweitern das interaktive Medienangebot, sie sind aber kein Ersatz, sondern nur eine Alternative für 'passive' Unterhaltung. Trotz der wachsenden Konkurrenz verschiedener Medienformen läßt sich bisher nur ein geringer Rückgang bei der Nutzung 'passiver Medien' registrieren. So sank laut Stipp der TV-Konsum in Internet-Haushalten in den USA nur um ein Prozent!

Für die Zukunft der Inhalte erwartet Stipp mehr Mischformen der medialen Darstellung, eine Anpassung des Angebots an Interessen und Alter, Erlebniswelt und Medienerfahrungen der jungen Nutzer und die Kontinuität der Geschichten: Sie "bleiben auch im Zeitalter der interaktiven Medien eine wichtige Form für Lernen und Unterhaltung.

In der Diskussion warb der Kölner Journalist Tobias Gehle mit Blick auf die Internet-Euphorie dafür, "den Ball flach zu halten". Allerdings werde das Datennetz das Fernsehen sicher "erheblich verändern." Andreas Seitz, Sprecher der Kölner Familiensenders Super RTL, geht davon aus, dass "die Internet-Nutzung stärker, aber nicht substitutiv" im Verhältnis zu anderen Medien wird. "Das Internet ist eine additives Medium," so Seitz. Der Medienwissenschaftler Jürgen Sleegers, ebenfalls aus Köln, rief die Programm-Macher dazu auf, "mehr auszuprobieren" und "Kinder stärker einzubeziehen". Als Beispiel nannte er den Sender "Giga TV".

Skeptisch zeigte sich in dieser Hinsicht Wolfgang Buresch, Abteilungsleiter der Programmgruppe Familie beim NDR. Nach seinen Erfahrungen "möchten Kinder anderen Kindern nicht beim Spielen zusehen." Die bisherigen Ansätze zum "interaktiven Erzählen" seien gescheitert; selbst Internet-Soaps hätten nicht funktioniert. Im übrigen dürfe das öffentlich-rechtliche Fernsehen gar "keine Programmgelder für Internet-Auftritte ausgeben."

Für die künftige Entwicklung sah Seitz "keine Integration von Internet und Fernsehen", da jedes Medium seinen eigenen Point of Sale habe. Anknüpfend an Gert K. Münteferings Diktum von der "Verzauberung auf Zeit" stellte er die These auf: "So lange das Internet das nicht schafft, gibt es keinen Durchbruch." Stipp verwies auf die Image-Unterschiede beider Medien: Bei Befragungen wiesen Erwachsene dem Fernsehen das Markenzeichen Unterhaltung zu, dem Internet dagegen das Markenzeichen Information. Hier stellt sich für ihn die Frage, ob das Fernsehen unter dem Einfluss des Internets womöglich informativer wird. In einem Schluss-Wort appellierte Sleegers an die Anwesenden, jeder sollte versuchen, "das Kind in sich wachzuhalten, vor allem die kindliche Naivität und Begeisterung."